Verbindlichkeit leben - Für mich und mein Gegenüber

 

Ich kann mich auf mich verlassen, Du kannst dich auf mich verlassen. Auch dann, wenn das Barometer des Lebens, der Beziehung, der wirtschaftlichen Umstände etc. von schön auf stürmisch wechselt.


Wie klar, wie ausgerichtet kann dadurch mein Leben sein. Ich bin kein Fähnchen im Wind, das heute so und morgen so flattert. Wie viel Ruhe, Sicherheit, Vertrauen kann ich damit anderen Menschen geben, sei es meinem Lebenspartner, einer Freundin, Geschäftspartnern, Vorgesetzten, Mitarbeitern, Sohn oder Tochter. Und umgekehrt: Wie unterstützend ist das für mich, wenn mir mein Gegenüber dieses Gefühl vermittelt: Du kannst dich auf mich verlassen. Ruhe, Sicherheit, Verlässlichkeit, die meisten Menschen brauchen dies, um sich gut zu fühlen, um sich etwas zu trauen. Ich glaube, da sind wir uns alle einig.

Die Realität und das Leben aber zeigt, dass es viele Menschen gibt, vielleicht gehörst du dazu, für die Verbindlichkeit eher schwierig ist, die sie vielleicht sogar vermeiden wollen oder müssen. Für die Un-Verbindlichkeit ein Lebensmuster darstellt.

Das hat Wirkungen auf das Leben, die eine Belastung darstellen können. Und sollte dies für dein Leben ein Erschwernis sein, das du ändern möchtest, lautet die Botschaft: Das ist möglich. Für den einen leichter, für den anderen schwieriger. Voraussetzung ist, dass du erkennst, warum Verbindlichkeit für dich schwierig ist.



Verbindlichkeit: Ihre Wirkungen 

Wirkung auf mich selbst
Beispiel: Wenn ich mich (zu etwas Wichtigem) entschlossen habe, lasse ich mich nicht mehr so ohne weiteres von diesem Entschluss abbringen, auch dann nicht, wenn es eine schwierige Phase gibt. Für mein Leben heisst dies z.B., dass ich mich nicht verzettle, sondern meine Kräfte bündle. Das spart Energie und häufig auch Geld. Schon an dieser Stelle soll erwähnt werden, dass dies auch eine Kehrseite hat: Nämlich dann, wenn ich – ggf. wider besseres Wissen – an etwas festhalte, obwohl die Entwicklung so verläuft, dass Nachteile die Vorteile weit überwiegen. Dies gilt für alle Beispiele in diesem Artikel, wenn ich über das Mass an dem einmal gefassten Entschluss festhalte.


Wirkung für mein Umfeld, meine Gegenüber
Wenn ich verbindlich bin, kann mich mein Gegenüber einschätzen. Ich zeige mich, ich sage nicht vielleicht, sondern Ja und Nein, oder: Gib mir noch etwas Zeit, ich komme auf dich zu. Dies führt zu Klarheit, die das Gegenüber freuen kann oder auch schmerzen. Mein Gegenüber kann dann jedenfalls die für ihn richtigen Schritte gehen.
Zu Verbindlichkeit gehört z.B. auch, Verantwortung für eine Aufgabe zu übernehmen, eine klare Zusage zu geben und einzuhalten. Oder eine klare Absage zu geben.

Was bedeutet das für mein Privatleben?
Eine wirkliche Freundschaft, eine stabile Partnerschaft, braucht eine solide Basis. Ein Vielleicht ist das Gegenteil einer soliden Basis.
Ein Vielleicht führt bei dem Gegenüber oft dazu, dass er sich sagt: Er interessiert sich nicht wirklich für die Sache oder für mich. Und wird sich im Normalfall hüten – wenn das bei mir eher die Regel als die Ausnahme ist -, auf mich zu bauen. Und sich (ebenfalls) nicht einlassen.

Was bedeutet das für mein Berufsleben?
Verbindlichkeit im Beruf heisst z.B., dass ich mich dort richtig fühle. Und dass mir Kollegen, Vorgesetzte, Mitarbeiter, Klienten vertrauen können.
Ein Vielleicht in beruflicher Hinsicht bedeutet häufig, dass ich nicht wirklich hinter der Sache stehe, hinter dem, was ich das tue und ggf. wie ich das tue. Wieviel mehr an Kraft fordert es dann, wenn mir die Begeisterung fehlt oder wenigstens die Einsicht in die Notwendigkeit, meine Aufgabe zu erfüllen? Und ich vielleicht immer wieder Ausschau halte nach Alternativen? Wichtig ist hier zu sagen, dass dies vor allem dann ein Thema ist, wenn dies ist ein Verhaltensmuster ist. Ein Ausschau nach Alternativen kann sinnvoll sein.

Und was bedeutet dies für Kollegen, Mitarbeiter, Vorgesetzte? Soviel ist jedenfalls sicher: Karrierefördernd ist Unverbindlichkeit im Beruf nicht, sondern das Gegenteil. So wird mit mehr Verantwortung wahrscheinlich nur ein Mitarbeiter betraut, wenn sich – neben anderen wichtigen Faktoren - die Entscheider auf ihn verlassen können.
Alles dies ist naheliegend, und so ergibt sich die Frage: Warum ist es für manche Menschen schwierig, verbindlich zu sein, sich einzulassen?



Verbindlichkeit: Was könnte mich davon abhalten? Was macht es mir schwierig?


Verbindlichkeit ist mit Angst verbunden
Als Kind brauche ich Verbindlichkeit, Zuverlässigkeit, Unterstützung, um zu überleben. Kaum etwas hat in diesem Alter eine grössere Bedeutung.
Manche Kinder machen jedoch die Erfahrung, dass sie nicht sicher sein können, ob sie zu essen bekommen, wenn sie Hunger haben. Oder dass ein Elternteil die Familie verlässt. Oder ein Elternteil grossen Stimmungsschwankungen unterworfen ist, sei es durch Alkohol, psychischen Erkanken etc. Für das Kind kann dies eine Grundüberzeugung fördern, je früher in seinem Leben, umso stärker: Ich kann mich nicht verlassen. Dies ist für ein Kind eine überaus schmerzhafte Erfahrung. Und unbewusst wird das Kind einen Schutz aufbauen, um diesen Schmerz nicht mehr zu spüren. Ein Schutz könnte sein: Ich werde mich nie auf einen anderen Menschen einlassen, mich auf ihn verlassen, damit ich ich diesen Schmerz nicht mehr spüren muss. Eine Wirkung: In Beziehung wird dieser Mensch für das Gegenüber meist nicht genug kaum erreichbar sein, selten klar Stellung beziehen, er erzeugt bei dem Gegenüber das Gefühl: Ich weiss nicht, woran ich mit ihm bin, auf ihn kann ich mich nicht verlassen. Etwas, was in allen Lebensbereichen wirkt!
 
Eine andere Erfahrung: Bei Fehlern, oder wenn das (heranwachsende) Kind etwas nicht schafft, wird es regelmässig destruktiv kritisiert, entmutigt, bestraft, was ebenfalls eine Verletzung darstellt. Es lernt: Wenn ich Fehler mache, bin ich nicht gut, wenn ich nicht gut bin, werde ich verletzt. Dies führt häufig zu Unsicherheit, zu einem Bemühen, möglichst nichts falsch zu machen. Einige mögliche Folgen: Als Erwachsener wird sich dieser Mensch mit klaren Meinungsäusserungen eher zurückhalten, Angst vor mutigen Schritten haben, bei Problemen schneller aufgeben. Einige mögliche Wirkungen: Verzetteln im eigenen Leben, sich nicht festlegen gegenüber anderen Menschen, im unverbindlichen bleiben (er könnte ja für etwas verantwortlich gemacht werden, was er vermeiden will).  

Nicht zuletzt: Wenn das Kind oder der Heranwachsende die Erfahrung gemacht hat, dass, wenn es/er für sich eintritt, etwas anders machen möchte als die Bezugsperson, mit Liebesentzug bestraft wird. Oder damit, dass die Bezugsperson ein schlechtes Gewissen macht. Die Erfahrung daraus ist: Wenn ich zu mir stehe, verletze ich. Also bleibe ich besser unverbindlich in z.B. der Antwort auf eine Frage. Die Frage ist, was das Gegenüber auf Dauer mehr verletzt: Ein klares Ja/Nein zu erfahren oder ein Vielleicht.



Verbindlichkeit ist mit dem Risiko verbunden, etwas Besseres zu verpassen

Manche Menschen erfahren in ihrer Kindheit eine sog. Überspiegelung. Wenn sie etwas gemacht haben (Burg gebaut, Bild gemalt etc.), wird dies von Bezugspersonen aussergewöhnlich, super, toll, grandios o.ä. gewertet. Sollte dies ein Muster sein, wird das Kind irgendwann den Eindruck gewinnen: Ich bin aussergewöhnlich, grandios, besser als die anderen. Im späteren Leben kann dies dazu führen, dass dieser Mensch oft das Gefühl hat, dass er unterschätzt wird, nicht seiner „Genialität“ angemessen behandelt wird, einen viel besseren Job verdient hätte, eine bessere Partnerin etc.. Er überschätzt sich. Und wird dementsprechend mehr oder weniger dauerhaft danach suchen, wo er dieses „Bessere“ findet. Dieser Mensch wird sich schwer damit tun, verbindlich zu sein in der Beziehung, im Beruf, in Freundschaft, wo auch immer. Häufig verbunden ist dies mit einer latenten Unzufriedenheit.



Was kann ich tun, wenn ich verbindlicher werden möchte?
Eine zentrale Voraussetzung für Veränderung ist der Vorsatz, manchmal verbunden mit Leidensdruck aus den Erfahrungen des Lebens, verbindlich(er) zu werden. Und immer wieder wahrzunehmen im Alltag, wann ich diesbezüglich auf die Probe gestellt werde. Und mit welchen Gefühlen dies verbunden ist, wie ich letztlich handle oder nicht handle. Allein das erspüren der Gefühle, sich diesen stellen, kann eine große Herausforderung sein. Denn damit komme ich bewusst mit meiner Geschichte, meinen Erfahrungen mit diesem Thema in Kontakt, was bisher meist unbewusst der Fall war. Und vielleicht erkenne ich, dass ich in meinem Gegenüber etwas sehe, was wenig mit ihm, sondern z.B. mit einer Bezugsperson aus meinem bisherigen Leben zu tun hat. Weil es da und da so war, wird es jetzt auch so sein. Ja, das kann so sein, das nennt man Erfahrung. Das muss aber nicht so sein, und sich dieses bewusst machen, einer neuen Erfahrung eine Chance geben, nennt man Entwicklungsschritt.

Solche Schritte haben ihre Grenzen, oft sind wir nicht oder nur sehr begrenzt in der Lage, in frühere Erfahrungen bewusst einzutauchen und mit ihnen umzugehen. Hierfür braucht es Unterstützung, welche in großem Masse angeboten wird. In Seminaren, Coachings, Therapie.

Und: Solche Schritte, die damit verbundenen Veränderungen, brauchen ihre Zeit, müssen eingeübt werden, damit sie ihre Wirkung entfalten.

Wenn dich etwas aus diesen Zeilen anspricht, möchte ich dir Mut machen. Verbindlichkeit zu lernen und zu leben lässt dich für dich selber, in deinen Beziehungen und deinem Beruf reifen. Lässt dich erwachsen werden und auch z.B. Verantwortung nicht als drückend erleben, sondern als kraftvoll in dem Sinn, was du Vieles ermöglichen kannst. Lässt dich in Beziehung zu dir und zu anderen in eine Tiefe kommen und einen Kontakt finden, der erfüllend sein kann.
 

Günther Neuses
guenther@danielekirchmair.com

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